Kriegsverbrechen
Das Massaker von My Lai

Plötzlich war überall Tod: Dorfbewohner von My Lai, auf der Flucht erschossen.
(Bild: Ronald L. Haeberle / Time & Life / Getty)

Bewohner von My Lai kurz vor ihrer Ermordung (16. März 1968)
Ronald L. Haeberle - "Report of the Department of Army review of the preliminary investigations into the My Lai

My Lai, 16. März 1968: Ein Knäuel menschlicher Körper auf einem Feldweg, darunter viele Babys und Kleinkinder
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"Wenn es ein Haus ist, zündet es an", befahl Hauptmann Ernest Medina
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Innerhalb von vier Stunden wurden 504 vietnamesische Zivilisten getötet
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16. März 1968: Die Sonne geht gerade über dem Südchinesischen Meer auf, als Helikopter der US-Armee die kleine Ortschaft My Lai erreichen. Soldaten der "Charlie Company" umzingeln das kleine Dorf 540 Kilometer nordöstlich von Saigon. Ihr Auftrag: Aufspüren und Vernichten von Angehörigen des Vietcongs, der südvietnamesischen Kommunisten. Vier Stunden später sind 504 Bewohner tot. Das Kriegsverbrechen unter Führung von Lieutenant William Calley besiegelte den moralischen Zusammenbruch der Vereinigten Staaten in Indochina.

Das Massaker blieb vor allem wegen seiner Bilder in Erinnerung: brennende Hütten, Menschen mit aufgeschlitzten Leibern, entstellte Leichen, die zwischen Reisfeldern liegen. Ronald Haeberle erinnert sich 44 Jahre später an jedes Detail. "Wir waren mit unseren Helikoptern gelandet, da begannen unsere Leute auf alles zu feuern, was sich bewegte. Ich sah, wie einer alten Frau aus kürzester Entfernung in den Kopf geschossen wurde. Überall lagen Leichen." Mit zwei Kameras (Farbe und Schwarz-Weiss) hielt der damals 27-jährige Armeefotograf fest, wie die Mitglieder der "Charlie Company" unschuldige Frauen, Kinder und Männer ermordeten, Tiere abschlachteten, Brunnen vergifteten, Häuser und Lebensmittelvorräte in Brand steckten.

"Es war alles total irreal, sogar Babys wurden massakriert", erzählt Haeberle, "ich fragte die Soldaten, warum sie das machten, warum sie Kindern und Säuglingen in den Kopf schiessen. Ich bekam keine Antwort, sie gingen weiter und feuerten mit ihren M16 um sich." Immer wieder sexuelle Übergriffe gegen Frauen. Routine, Mordfieber und Lust sind nicht zu unterscheiden. Den Opfern werden mit Bajonetten und Messern Ohren und Köpfe abgetrennt, Kehlen aufgeschlitzt, Zungen herausgeschnitten und Skalps genommen. All das hat Haeberle detailliert festgehalten. "Es war ein Blutbad, alles unschuldige Menschen", so erinnert sich Haeberle. "Glückwünsche den Offizieren und Mannschaften zum ausgezeichneten Gefecht", telegrafiert später General William Westmoreland, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Vietnam.

Berief sich auf Befehlsnotstand: Leutnant William L. Calley (Jg. 1943)
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Nur einer wagt den bedrängten Dorfbewohnern zu helfen: der Helikopterpilot Hugh Thompson. Er landet zwischen den Soldaten und den Dorfbewohnern. Dann fordert er über Funk Hilfe für die verwundeten Zivilisten an: "13 Vietnamesen wurden ausgeflogen. Während der ganzen Aktion hielten Thompsons Bordschützen Glen Andreotta und Lawrence Colburn mit ihren MG die eigenen Kameraden in Schach."

Dies ist ein kleiner Ausschnitt aus den Reportagen Vietnamkrieg 1964 - 1975, Auf der Spur des Leids. Die vollständigen Artikel dazu können Sie hier lesen.

Abscheuliche Verbrechen

Der Überfall auf My Lai war an diesem Tag »die wichtigste der vorgesehenen Operationen« der betreffenden Brigade. Deshalb begleiteten zwei Kriegsberichterstatter Calleys Einheit: Der Journalist Five Jay Roberts und der Fotoreporter Ronald L. Haeberle. Der Fotoreporter berichtete später im Prozess gegen Calley: »Einige Soldaten hatten ein etwa 15jähriges Mädchen gepackt und versuchten, ihm die Kleider vom Leibe zu reißen. Eine ältere Frau, vielleicht die Mutter, begann, die Amerikaner anzuflehen, wurde aber mit dem Gewehrkolben erledigt.«

Ein Soldat sagte vor Gericht: »Leutnant Calley entdeckte etwa 150 Personen, die sich in einem Graben versteckt hatten, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Als einige von ihnen furchtsam aus ihrem Versteck hervorkamen, mähte er sie erbarmungslos nieder und forderte seine Soldaten auf, seinem Beispiel zu folgen. Es wurde geschossen, bis kein Lebenszeichen mehr kam. Aber nachdem das Feuer eingestellt worden war, erhob sich aus diesem Blutbad, fast wie ein Wunder, ein etwa zweijähriges Kind, das verzweifelt weinend versuchte, in Richtung Dorf zu laufen. Leutnant Calley packte es, warf es wieder in den Graben und erledigte es mit seiner Waffe.« Zeugenaussagen sprachen von Menschen, die von Bajonetten und Messern verstümmelt in Blutlachen lagen. »GIs hatten Ohren oder Köpfe abgetrennt, Kehlen aufgeschlitzt und Zungen herausgeschnitten, Skalps genommen.« Andernorts lagen »tote Frauen mit aufgeschlitzter Vagina, in einem Fall hatten die Täter einen Gewehrlauf eingeführt und abgedrückt.«

Auszug aus: Gerhard Feldbauer: »Das Massaker von My Lai«. Rezension des Buches »Abels Gesichter. Vietnam. Bilder eines Krieges« von Gian Luigi Nespoli und Giuseppe Zambon. In: Freidenker, Heft 1/2013

Erbarmungslose Jagd

Weder der Divisions- und der Brigadekommandeur noch Barker oder Medina hatten Strafen zu befürchten. Man hielt sich an einen Zugführer der C-Kompanie, Leutnant William Calley.

Calley war ein Bauernopfer. Anfangs des 102fachen Mordes angeklagt, wurde er von dem Militärgericht des 22fachen Mordes für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch schon nach sehr kurzer Zeit wurden daraus 20 Jahre, wenig später gar nur noch zehn, dann drei Jahre Hausarrest und schließlich Begnadigung durch Präsident Richard Nixon. Calley war ein freier Mann und durfte sich gar der Beförderung zum Oberleutnant erfreuen.

Aktenkundig, der Welt aber weitgehend verborgen geblieben, sind weitere Massaker in der Provinz Quang Ngai in den Jahren 1965, 1967, 1968 und 1969.

Dabei war Quang Ngai nur eine von Dutzenden südvietnamesischen Provinzen, die zu Schauplätzen solcher Verbrechen geworden sind.

Die USA haben sich auf der indochinesischen Halbinsel unwiderlegbar zahlloser Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Nach den Nürnberger Maßstäben von 1945, von ihnen maßgeblich ersonnen, hätten die für Aggressionskrieg und Massenmord Verantwortlichen in Weißem Haus, Pentagon und State Department vor einem internationalen Gericht stehen müssen.

»Edelste Traditionen«

2012 gab Präsident Barack Obama in einer Rede den Startschuss für ein auf 13 Jahre angelegtes Vietnamkriegsgedenken (Vietnam War Commemoration). Seinen vom US-Kongress abgesegneten Entschluss begründete er im Mai 2012: »Wenn wir den 50. Jahrestag des Vietnamkrieges begehen, dann denken wir mit feierlicher Ehrfurcht an den Heldenmut einer Generation, die in Ehren ihre Pflicht erfüllt hat. Wir gedenken der mehr als drei Millionen Männer und Frauen, die ihre Familien verließen, um mutig Dienst zu tun, fern von allem, was sie kannten und liebten. Von Da Nang nach Khe Sanh, von Hue nach Saigon und in den unzähligen Dörfern dazwischen, kämpften sie sich durch Dschungel und Reisfelder, Hitze und Monsunregen, um die Ideale zu verteidigen, die wir hier als Amerikaner hochhalten. In mehr als einem Jahrzehnt des Kampfes, in der Luft, an Land und auf See, repräsentierten diese stolzen Amerikaner die edelsten Traditionen unserer Streitkräfte.«

Das Massaker von Son My und all die anderen Greueltaten wie die gesamte Aggression gegen Nordvietnam scheinen für diese »edelsten Traditionen« zu stehen.


Quelle: jungewelt


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 19.02.2023 - 15:32